Der osmanische Reiterbogen aus Horn, Holz, Sehnen und Knochen

Die Vorgeschichte zum Kurs:

 

Es hat viel Zeit, Reisen, Energie und Besessenheit gebraucht um den Bogenbauern der Steppenvölker auf die Spur zu kommen und Stück für Stück ihre Geheimnisse in der Kunst des Hornbogenbaus zu lüften.

Jahre des Ausprobierens waren nötig um der langen handwerklichen Evolution nachzuspüren um dann die Erkenntnisse in ein taugliches Herstellungsystem umzusetzen.

 

Um dieses alte Wissen weiterzugeben, war es notwendig ein solches System zu entwickeln und durchzutesten - das ist gelungen und ich möchte allen danken, die mir dabei geholfen haben.

 

Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden von mir in einem Kapitel über die Rekonstruktion eines Osmanischen Kompositbogens, in einem Gemeinschaftswerk mit verschiedenen namhaften Autoren zum Thema publiziert:

 

"Reflexbogen - Geschichte & Herstellung"

Verlag Angelika Hörnig

www.bogenschiessen.de

 

Ein wenig Geschichte und Materialkunde

von Micha Wolf


Der Bogen besaß in der Geschichte eine dominierende Stellung sowohl als Jagd- wie auch als Kriegswaffe. Daher wurde sehr viel Energie in seine technische Weiterentwicklung gesteckt. Die zum Bau eines asiatischen Reflex-Bogens verwendeten Materialien muss man aus der Lebensweise und den Notwendigkeiten der zentralasiatischen Hirtennomaden verstehen. Die Menschen aller bogenbauenden Kulturen verwendeten die geeigneten Materialien, die ihnen die Natur ihrer Umgebung zur Verfügung stellte. Der Mangel an hochqualifiziertem Bogenholz war wohl der Grund dafür, dass sowohl das domestizierte Vieh der Nomaden als auch das Jagdwild, z.B. Hirsch und Steinbock, als Lieferanten für die Bogenbaumaterialien verwendet wurden. Achilles- und Nackensehnen der Großtiere wurden für das Sehnenlaminat und manchmal auch für die Herstellung der Bogensehnen eingesetzt. Für alle Verleimungen wurde Haut- und Fischleim verwendet, Hirschhorn und Knochen als Griff- und Siyah-Verstärkung. Rohhaut und Birkenrinde dienten als Feuchtigkeitsschutz. Was die Menschen aus der Kombination dieser Materialien schufen ist schon sehr beachtlich und war unseren Holzbogen in vieler Hinsicht überlegen.

In den Begräbnisstätten der Steppenreiter, welche die Archäologie von der Mandschurei bis nach Niederösterreich freigelegt und dokumentiert hat, findet man Spuren dieser Materialien an den Resten jener Bogen, die den berittenen Bogenschützen mit ins Grab gelegt wurden. Außerdem erhielt man mehr oder weniger gut erhaltene Artefakte bei Ausgrabungen der awarischen, magyarischen und hunnischen Gräber. Viel besser erhaltene Funde allerdings liefern die Permafrostböden des mongolischen Altai und dem sibirischen Tuwa. Die osmanischen Bogenbauwerkstätten nutzten diese Ergebnisse der jahrtausendealten, handwerklichen Evolution und brachten die Kompositbauweise zur schönsten Blüte.

 

Die turkstämmigen Völker haben mit ihrer hohen Beweglichkeit, ihrer Kampftechnik und nicht zuletzt mit dem Kompositbogen das Abendland oft bedroht, angefangen von den Skythen, den Awaren und Hunnen über die Reiterkrieger des Dschingis Khan und seiner Nachfolger bis zu den Tartaren und den Osmanen vor Wien. Um mit dem Bau eines solch hochentwickelten Bogens zu beginnen, ist es meiner Meinung nach eine wichtige Voraussetzung, dass man mit dem Bogenbau schon vertraut ist und darin Erfahrungen gesammelt hat.

 

Natürlich kann man sich einen solchen Bogen auch von mir bauen lassen.

Aufgrund der Kriegswichtigkeit, der Infrastruktur und gut funktionierenden Zulieferung erfolgte der Bogen- und Pfeilbau bei den Osmanen vermutlich in effizient funktionierenden Manufakturen, die an geeigneten Standorten unter meisterlicher Obhut große Stückzahlen in Serie produzierten. Hinweise auf diese Serienproduktion geben die Bogen der Jagd- und Rüstkammer in Wien mit der Inventarnummer C 86 und C 95, die eine absolut identische Bauweise und Materialbehandlung zeigen und sich nur durch die Bemalung unterscheiden. Man kann sich kleine ‚Rüstungsindustrien’ vorstellen, die mit vorgefertigten Teilen wie z.B. den Griffstücken, den Siyahs und den Hornstreifen arbeiteten. Die Variablen in dieser Art der Produktion waren die Zugstärke und die Länge der Wurfarme sowie die zum Teil prachtvollen Bemalungen, die dann wohl in eigenen, spezialisierten Malerwerkstätten entstanden